current position:
michael-rein.de > Reise > Diplomreise 1998 > Bericht |
©
12/04/1999 Michael
Rein
last update
10/05/2001
|
![]() |
|
![]() |
Nun
war es endlich soweit. Das Diplom in der Tasche und fünf Wochen wohlverdienten
Urlaub der für die meisten Menschen etwas anderen Art vor der Brust. Allein!
Schon in der nahezu schlaflosen Nacht vor der Abreise dachte ich wiederholt
daran, was ich persönlich von einem Urlaub erwarte. Erlebnis, Spontaneität
und Kompromißlosigkeit fielen mir da ein. Seit mehr als zehn Jahren sollte
dies mein erster Urlaub sein.
An einem Sonntagmorgen startete ich bei Nieselregen und örtlichem Bodennebel in der Morgendämmerung aus dem Herzen des Ruhrgebietes in Richtung Süden. Aus den wochenendlichen Ausfahrten waren mir die ersten Stunden Wegstrecke nur zu gut bekannt. Realisierend, daß ich erstmals mit einem beladenen Motorrad unterwegs war, analysierte ich intensiv das Fahrverhalten des noch neuen Motorrads. Denn wenige Monate zuvor hatte ich als Einsteiger mir diese Reiseenduro für eben solche Unternehmungen zugelegt. Es war mein erstes Motorrad und ein üppiges zudem, nicht nur in Hinblick auf die Leistung, sondern auch auf das Gewicht ø besonders im Reisetrimm.
Das Wetter besserte sich, so daß ich die zügig vorbeiziehenden Weinberge der Mosel in der Mittagssonne geradezu riechen konnte. Langsam kam ein Gefühl von Urlaub auf. In vertrauter Atmosphäre ø da immer wieder von Sonntagnachmittagausflüglern auf zwei Rädern begleitet ø ließ ich das eine Weinanbaugebiet hinter mir, um ein weiteres zu erreichen: Die deutsche Weinstraße. Zu meinem Unmut mußte ich feststellen, daß infolge unbelehrbarer Zeitgenossen an Wochenenden die schönsten Strecken für Motorradfahrer leider gesperrt waren. Das allerdings schien nur wenige zu interessieren und somit erlag auch meine Gesetzestreue der Erlebnislust. Wer kann es mir verdenken, am ersten Tag meines Urlaubs? Abends, erschöpft von der so ungewohnt hohen Kilometerleistung, saß ich dann noch einige Stunden zusammen mit weiteren tourenden Motorradfahrern zum Austausch von Erfahrungen und Erwartungen. Es war geradezu philosophisch.
Wie schon der Morgen des Vortages zeigte sich der zweite und letzte vorausgeplante Tag in grauen Hüllen. Der Himmel öffnete seine Schleusen und ich erlebte einen ganztägigen Dichtigkeitstest meines Materials. Den Schwarzwald konnte ich gelegentlich noch erahnen, ebenso wie die wunderschön kurvigen Straßen; das alles durch das mit Regenwasser überströmte Visier. Soviel zur Vorausplanung von Motorradurlauben. Ab sofort beschloß ich die Tage aus dem Bauch heraus zu gestalten und in den nächsten Tagen nur für den Moment zu leben. Da mein Gemüt nach Trockenheit und Sonnenschein verlangte, beschleunigte ich meinen Drang in Richtung Süden zum Bodensee.
In
der Morgensonne bei Temperaturen knapp unterhalb der 20°C Marke zog ich
weiter, mich wohl erinnernd an Beschreibungen der Norduferstraße des Vierwaldstädter
Sees. Bei der Gelegenheit stattete ich noch meiner Nachbarin vergangener Tage
einen Besuch in Luzern ab. Vormittags dort eingetroffen, entlud ich meine Maschine
und direkt danach fuhren wir noch zum Strandbad, um meinen Nachholbedarf an
positiver Energie in Form von Wärme und Licht kurzfristig zu stillen. Später
am Tag, während Sandra ihrer Pflicht nachkam, frönte ich dem Vergnügen
der etwas anderen Art. Seite an Seite mit Mountainbikern und Enduristen trieb
ich meine doch merklich übergewichtige Kuh die Schotterwege des Rigi und
später auch die des Pilatus´ hinauf. Daß dies völlig illegal
war, erklärte mir später eine sportlich junge Radfahrerin am Fuße
des Pilatus´ mit einem Lächeln und der wahrscheinlich nicht ganz
ernst gemeinten Frage, ob ich sie nicht mit hinauf nehmen könne. Sportliche
Freizeitaktivitäten werden in der Schweiz groß geschrieben, wußte
Sandra mir später am lauen Sommerabend bei einem erfrischenden Bier unter
freiem Himmel zu berichten. Weiter empfahl sie mir nun aus ihrer zweijährigen
Schweizerfahrung, das Tessin zu bereisen.
Was diese Route für einen Motorradfahrer bedeutete, rief ein Glänzen in meinen Augen hervor. Als Junge aus dem Pott sind mir Hügel in der Höhe von allenfalls weniger hundert Meter bekannt. Doch um ins Tessin zu gelangen, stehen richtige Berge im Weg. Susten-, Gimsel-, Furkapaß sollten meine ersten Erfahrungen mit den Alpen werden, worauf ich mich schon seit Monaten im Voraus gefreut habe. Rastend am höchsten Aussichtspunkt des Sustenpasses, angetan von der unglaublichen Aussicht auf das Tal mit der sich hocharbeitenden Straße und beeindruckt vom vollen Geschmack der original Schweizer 300 g Tafel Schokolade ø einer Genußdroge - sagte mir ein bärtiger Mann durch das hochgeklappte Kinnteil seines Helmes: ãDas hier ist alles Autobahn. Fahr´ einmal die richtigen Pässe, wie z.B. den Splügenpaß!Ò
Mir haben vorerst die breiten und gut ausgebauten Schweizer Pässe ausgereicht,
um zu erkennen, daß das wechselnde Auf und Ab, das konzentrierte Ansteuern
der Kurven und der beachtliche Temperaturunterschied doch deutlich stärker
an die körperliche Substanz gehen, als ich es erwartet hatte. Hinzu kam
die selten interessante Abfahrt von St. Gotthard ohne die bremsende Kraft des
Motors. Ich hatte mich in meiner Begeisterung verschätzt und nicht rechtzeitig
nachgetankt. Glücklicherweise bin ich mit holperndem Motor noch hinauf
gekommen, runter glühten die Bremsen bei ausgeschaltetem Motor. Es hat
gerade noch zur ersten Tankstelle gereicht. Später nach diesen Strapazen
habe ich mich irgendwo mitten im Tessin zu Reinhard gesetzt, den ich schon oftmals
am Vormittag gesehen habe. In Badehose und T-Shirt saßen wir am
Straßenrand im Graben bei 35°C im Schatten und einer erdrückenden
Schwüle. Da meine
Getränkevorräte aufgebraucht waren, nahm ich das in seiner Kühlbox
(!) aufbewahrte schwarze Prickelwasser gerne entgegen. Die vorbeifahrenden Bekanntschaften
des Tages grüßend, bemerkte ich sehr schnell, daß man im Tessin
mehr in Italien denn in der Schweiz war. Das gute Wetter, die eingeschränkten
Geschäftsöffnungszeiten, das scheinbar gesetzlose Verkehrsverhalten,
die lebensfroh freundliche Mentalität der Bevölkerung und nicht zuletzt
die Gleichgültigkeit der Gesetzeshüter vermittelten einen typisch
südländischen Flair dieser Region. Angekommen in der Luganer Jugendherberge
wurde ich von meinen Zimmergenossen gleich zum Abendessen mit Rührei und
Speck eingeladen. Mit vollem Bauch fuhr ich hinunter in die Stadt, wobei ich
an der Ampel stehend Geräusche hinter mir hörte, die jene meines Boxermotors
in den Schatten stellten. Dieser Tage war Bugatti-Treffen in Lugano. Und eben
nur jenen Fahrzeugen war es erlaubt, nach 20:30 Uhr die Promenade zu befahren,
welche allabendlich für jeglichen motorisierten Verkehr geschlossen blieb.
Bei Dunkelheit nutzte ich die angenehme Luft nach Sonnenuntergang für einen
Spaziergang entlang der kilometerlangen Promenade bei volksfestartigem Trubel:
aufgetankt und in mich gegangen.
Bewaffnet mit einem Bügelschloß (Stiftung Warentest: sehr
gut) und ansonsten nur mit dem Allernötigsten, machte ich mich noch
bei Dunkelheit und Kälte auf nach Mailand. Dort angekommen und über
alle Verkehrsregeln hinweggesetzt, hörte ich bei jedem meiner Fotostopps
klagende Touristen, die bestohlen worden waren. Auch mich fragten zwielichtige
Gestalten vielfach nach meiner Maschine, was mir ein Gefühl des Unbehagens
vermittelte. Bewacht und gesichert habe ich es gerade einmal geschafft,
mich für eine Stunde von meiner motorisierten Urlaubsgrundlage zu
trennen, damit ich die einzigartige Atmosphäre schnuppern konnte.
Die auffällig attraktiven Menschen fielen mir als erstes auf. Bei
genauerer Betrachtung waren es immer Touristen, die eher durchschnittlich
gekleidet in die Öffentlichkeit traten. Mit einer martialisch anmutenden
Motorradhose und Endurostiefeln bekleidet habe ich keinen weiteren gesehen,
und so waren die Blicke, welche ich auf mich zog, wohl eher verständlich.
Doch die Angst vor Diebstahl trieb mich schnell weiter zum empfohlenen,
einmaligen Splügenpaß (In fast jeder Kurve konnte ich die Sturzbügel
hören!) und wieder zurück nach Lugano. Entschlossen, nach soviel
Üppigkeit, mich der Einfachheit des Motorradlebens zu widmen, fuhr
ich entlang der deutschen Tourismushochburg Lago Maggiore in die Berge.
Vor Zermatt, das nur per Taxi oder mit der Bahn erreichbar ist, liegt etwas
außerhalb des erdrückenden Tourismuszentrums ein Campingplatz.
Also schlug ich dort mein Zelt auf und setzte mich ins mittlerweile schon
feuchte Gras zu den übrigen Campern meiner Generation, die sich im
Kreis um ihre zentriert positionierten Kocher angeordnet hatten. Unvergeßlich
war dieses Zusammensein mit gleichgesinnten, außerordentlichen Urlaubern,
die alle auf unterschiedliche Weisen ihre Freizeit gestalteten und für
ihre Hobbies lebten. Englisch war natürlich bei einer solch internationalen
Mischung die Kommunikationsgrundlage. Es wurde ein langer geschwätziger
Abend. Am nächsten Morgen, aufgewacht infolge der tiefen Außentemperaturen,
hatte ich beste Sicht von meinem Zelteingang auf das Matterhorn.
Nach Pflichtetappen mit Pausen in Lausanne, Genf, Grenobel und am Mt. Blanc, ließen mir die französischen Alpen keine Ruhe mehr. Als Radsportler junger Jahre und interessierter Verfolger der Tour de France war die Bewältigung der 21 Kurven hinauf nach Alp d´Huez ein Muß. Die unzähligen Hobbyradfahrer anfeuernd, fuhr ich mit der frisch gewonnen Erkenntnis vom übernatürlichen Leistungsvermögen der Profiradsportler weiter zum Col de Galibier und weiter über die Straße der großen Alpenpässe in Richtung Süden. Kurve an Kurve entdeckte ich Vergnügen auf eine Art, die mir bislang verborgen blieb. Die Dämpfung einige Stufen straffer gestellt, rauschte ich nahe des Limits die Berge hinauf. 2. Gang, 3. Gang, 6000 U/min, ohne Bremsen, Herunterschalten, Legen in die Kurven, Schaben der Stiefelspitzen, dann der Zylinderprotektoren, Heraufbeschleunigen von 5000 nach 7000 U/min, Schalten, wieder und wieder. Oben, bei blauem Himmel und kühlen 20°C eine kurze Rast, ein Bild, ein Schluck aus der Flasche und die Abfahrt in gelassenem Tempo. Meine Augen streiften durch die Landschaft. Niemals hätte ich geahnt, daß die karge Felslandschaft des Col d´Isoard mich derart berühren könnte. Fast in einem Trancezustand wogen mich die abwechselnden Kehren. Aufwachen, der nächste Anstieg, rasche Gelenkbewegung der rechten Hand! Den Profilverlust des Hinterreifens konnte man mit bloßem Auge messen.
An
der Cote d´Azur angelangt, erreichte ich ein weiteres Zwischenziel. Das
himmelblaue Wasser am farbenfrohen Buchten der roten Steinküste zwischen
Nizza und Cannes waren beeindruckend. Bei Temperaturen von fast 40°C in
der Sonne und einer extremen Luftfeuchtigkeit floß trotz einer Wüstenkombi
permanent der Scheiß. Rasch entschloß ich mich nach einem kurzen
Bad wieder ins Landesinnere zu fahren, denn dort wartete ein weiteres Highlight.
Der Grand Canon du Verdon - ein Paradies für Naturverliebte. Direkt auf
dem Canyonrand entlang gefahren, erreichte ich gegen Nachmittag den nahe gelegenen
See. Das grün-blaue Wasser lockte hauptsächlich niederländische
Camper an, die selbst die Zahl der Motorradreisenden in den Schatten stellte.
Von dort war es nur ein Katzensprung in die vermeintlich schönste Gegend Frankreichs, gar Europas ø die Provence. Verzweifelt suchte ich nach dem Markenzeichen dieser Gegend. Doch statt den lila-blauen Lavendel auf weitreichenden Feldern zu sichten, drang es viel tiefer in mich hinein. Geerntet und destilliert durchzog der Geruch von belebender Frische und mildernder Kräuterwirkung dieser Essenz neben meiner Nase auch die mittlerweile durch Tausende von Kilometern verschmutzte Kleidung. Darunter mischten sich noch weitere appetitliche Weine und eine Vielzahl von Blüten. Letztere verliehen der Region eine Brillianz, eine Lebendigkeit, eine Romantik, die alle Gemälde van Goghs, und seien sie noch so wertvoll und farbenfroh, in den Schatten stellte.
Angelockt
vom salzigen Geschmack meines Frühstück, Baguette mit Käse und
Salz, tourte ich hinab in die Camargue zum Rhonedelta und zum Mittelmeer. Direkt
an diesem Landzipfel koppelt sich eine mehrere Kilometer breite Sandbank, welche
nur wenige Meter schmal und über eine Teerstraße erreichbar ist.
Eine stürmische Salzbriese entriß mir meine Karte beim ersten Versuch,
mich mit 300 kg und Straßenbereifung im weichen Sand fortzubewegen. Versuche,
saubere Kurven zu zirkeln, verliefen sprichwörtlich im Sande. Nachdem ich
die feinen Körner überall an meinem Körper fühlte, beschloß
ich mich zum Ende dieser Sandbank zu bewegen und dort absolut ungestört
Mittagsschlaf in der gleißenden Sonne zu halten. Gegen Abend mußte
ich mir die vielfältigen Kulturdenkmäler aus der 2000 Jahre alten
Geschichte genauer ansehen. Und so standen als nächste Ziele Arles, Nimes,
Aix en Provence, Orange und Avignon auf dem Stundenplan. Doch die Natur reizte
viel mehr als alles Synthetische. Der weiße Berg und die Ardeche lockten
mich wieder zurück.
Leider schlug das Wetter unverhofft um, so daß ich nicht weiter in diese Richtung die Cevennen ansteuern konnte. Drei Stunden Fahrt bei Nebel mit Sichtweiten von deutlich weniger als 50 m und wiederkehrender Regen sprachen eine eindeutige Sprache. Also habe ich die Wetterschneide der Pyrenäen hinter mich gelassen und fand mich noch am gleichen Tag an den sonnigen Stränden der Costa Brava wieder. ãMama, Papa, ich glaube es kaum! Da fahre ich 5000 km und treffe meine Eltern.Ò Als willkommener Gast verbrachte ich zwei Tage bei meinen sichtlich erleichterten Eltern, die zufällig am gleichen Ort zur gleichen Zeit Urlaub machten. Am zweiten Tag machte ich einen kurzen Abstecher nach Barcelona. Der undurchdringliche Verkehr am katalanischen Feiertag brachte selbst das temperamentvolle, luftgekühlte Herz meines treuen Begleiters zum kochen. Zu einem Schwätzchen hielt ich am Placa de Cataluna. Entspannt und guter Dinge, sah ich in einem anregenden Gespräch mit Maria aus den Augenwinkeln einen an meinem Motorrad gänzlichen Uninteressierten sich in Sekundenschnelle meinen am Fahrzeug angeschlossenen Helm greifen. In Händen die Fotokamera haltend, rannte ich erfolgreich hinter dem vermeintlichen Berufsdieb her und ergriff was mir gehörte noch direkt auf der stark befahrenen Kreuzung. Der Applaus der Touristenmenge war mir sicher. Manche standen sogar auf. Voller Stolz begriff ich erst mein Glück, denn so ein Helm ist teuer und die hierzulande gewöhnlichen Helme erfüllen nichteinmal die Sicherheitsvorschriften der Baubranche.
Soviel
Trubel erweckte in mir wieder die Sehnsucht nach dem auf das Wesentliche konzentrierte
Leben eines Motorradreisenden. Und so startete ich gleich am nächsten Morgen
in die Pyrenäen. Einsam und verlassen schlenderte ich entlang der abgelegenen
Wege, welche zum Teil stark ramponiert oder nicht asphaltiert waren. Nur meine
Maschine konnte ich hören und den sausenden, warmen Sommerwind. Der Himmel
war strahlend blau und ein würziger Geruch von Natur drang in meine Nase.
Es roch nach frischem Holz. Erst am zweiten Tag in jenem Gebirge, welches zu
dieser Zeit die Schlechtwetterfront des Nordens fern hielt, sah ich dann den
ersten deutschen Reisenden. In der sengenden Mittagshitze suchte ich mir unter
Bäumen ein schattiges Plätzchen für einen kurzen Imbiß.
Für ein vollwertiges Mahl nach zentraleuropäischem Standard war es
viel zu heiß, und so hatte ich auch keinen allzu großen Appetit.
Vielmehr schmeckte die original spanische Paella abends in einem der abgelegenen
Restaurantes in den Pyrenäen viel zu gut, als daß ich mich hätte
zuvor schon sättigen wollen. Die Gastfreundlichkeit der Menschen in dieser
Region ist für mich bislang unerreicht. Ich wurde wie ein Familienmitglied
behandelt. Obwohl ich kaum ein Wort Spanisch sprach, kommunizierten die beiden
Gastgeberinnen und zwei weitere Familienmitglieder mit mir für weitere
drei Stunden. Zu erklären hatte ich vieles, denn ich war schon lang unterwegs
und Spuren hat diese Zeit auch hinterlassen, wie z.B. an meinem Helm. Das allabendliche
Würfelspiel habe ich recht schnell begriffen, so daß ich bis in die
Nacht hinein zu Gast blieb. Zwar wurde mir ein Zimmer angeboten, doch hatte
ich mein Zelt schon auf einem 20 km entfernten Campingplatz aufgeschlagen.
Durch die Vuelta, die Spanienrundfahrt der Radprofies, bei der viele Straßenzüge
auf meiner geplanten Route gesperrt wurden, mußte ich mein Vorhaben ändern
und für eine Durchquerung der Pyrenäen auf die französische Seite
wechseln. Dort herrschte noch immer Regen und Unwetter, so daß ich die
Gunst der Stunde nutzen wollte, um aus dem dichten Nebel bei der Überquerung
des Col du Tourmalet nach oben hinaus zu fahren und wahrlich über den Wolken
zu schweben. Auf Höhe der Observatoriums (2800 m) angelangt, fehlten leider
noch einige wenige Meter, um auf die Wolken herab zu blicken. Nach oben sah
ich die Sonne, unter mir den Schnee, der am Vortag dort in 20 cm Schichtdicke gefallen
ist. Rasch wechselte ich wieder auf die spanische Seite des Gebirges, wo mich
schon nach Überquerung des Col du Pourtalet am frühen Morgen die Sonne
mit ihrer aufheizenden Strahlung empfing. Immer mehr dieser mit Werbung beklebten
Fahrzeuge kamen mir entgegen, was mich an einem Verpflegungsposten für
die Begleitfahrzeuge der Vuelta halten ließ, um mich nach der Tagesroute
der Radler zu erkundigen. Solange die Radfahrer noch nicht passierten, wurde
ich von den interessierten und freundlichen Menschen durchgefüttert, mit
allem was ihnen zur Verfügung stand.
In Andorra erkundigte ich mich nach dem Wetter Frankreichs und entschloß mich nach sonniger Vorhersage, in die Nordostpyrenäen zu wechseln. Die Landschaft hat ihren ganz besonderen Reiz durch ein spärliches Touristenaufkommen, durch gigantische Schluchten und imposante Burgen. Im Roussillion angekommen, habe ich mich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß mein Urlaub nach vier Wochen sich nun dem Ende zuneige. Insofern wollte ich die bisherigen Höhepunkte der Fahrt noch einmal durchleben und die guten Tips anderer Motorradurlauber nachholen. Durch die Provence fuhr ich, mit einem Abstecher an die Camargue, vorbei an der Cote d´Azur, hinauf zum Col de Tende. Die 48 Schotterkehren der südlichen Paßanfahrt hätte ich um nichts auf meiner Tour verpassen wollen. Mit einiger Übung aus den Schotterstrecken in den Pyrenäen, machte es einen riesen Spaß, das Hinterrad gelegentlich traktionslos um die Kehren zu schwingen. Dessen nicht genug, reizte mich zusammen mit zwei Münchenern die Ligurische Grenzkammstraße. Einfach mal hinein schnuppern, nicht ganz abfahren. Am nächsten Tag lockte abschließend dieser Schotterkurztour die Assietta Grenzkammstraße, welche ich nicht komplett genossen habe, da ich irgendwann einer Abzweigung gefolgt bin, die mich auf den Boden zurück brachte. Der Ausblick war atemberaubend, wenn die tief hängenden Wolken gelegentlich einen Blick von Dauer auf die Tiefen der Landschaft zugelassen haben. Vogelperspektive, alles lag mir zu Füßen.
Pünktlich zur Bundestagswahl 1998 hatte mich die Stadt Bochum wieder. 11.800 km Urlaub in fünf Wochen. Ein unvergeßliches Ereignis ø ein Urlaub, auf den ich Jahre gewartet hatte, der trotz aller meiner hochgesteckten Erwartungen diese noch übertroffen hat. So etwas vergißt man nicht.